
Aktuelle Beobachtungen in den USA zeigen einen beunruhigenden, neuen Trend. Das “Smart Home” wird im Rahmen häuslicher Gewalt missbraucht.
Was ist eigentlich ein „Smart Home“?
Als „Smart Home“ bezeichnet man Wohnungen, Häuser etc. welche durch Technologie automatisiert werden.
Mittels Funk, WLan und Bluetooth ist es möglich, dass Haushaltsgeräte Informationen empfangen und senden können. Das heißt, Dinge können sowohl miteinander als auch mit uns kommunizieren. Mittels zentraler Fernsteuerung können Geräte gesteuert werden und es können beispielsweise Heizung und Licht den persönlichen Bedürfnissen angepasst werden. Als Fernbedienung dient ein Smartphone oder Tablet. Herzstück dabei ist die „Smart Home“ Zentrale, sozusagen die Basisstation, über die alle Geräte verbunden sind.
Ein „Smart Home“ soll dabei helfen den Alltag einfacher und komfortabler zu gestalten, denn man kann Geräte daheim steuern und überwachen – auch wenn man nicht zuhause ist.
In den USA sind ca. 29 Millionen Haushalte „smart“. Das bedeutet, dass sie über Geräte verfügen, die digital gesteuert werden können. In Österreich haben etwa 15 % der Haushalte ein „Smart Home“ mit steigender Tendenz. Es wird ein Zuwachs bis zum Jahr 2022 auf voraussichtlich ca. 30 % erwartet.
Weiterführende Informationen: Was ist ein “Smart Home”
Studie: “Smart Living” in Österreich
Missbrauch von “Smart Home” für häusliche Gewalt
Hotlines, Beratungsstellen und Schutzeinrichtungen für häusliche Gewalt sind in den USA immer öfter mit einer neuen Form der digitalen Gewalt konfrontiert. Sie berichten, dass sich in den letzten 12 Monaten immer mehr Leute gemeldet haben, welche die Kontrolle über Türen, Lautsprecher, Thermostate, Lichter, Kameras, etc. zu verlieren scheinen.
Garciela Rodriguez, die eine Notunterkunft in San Rafael, Kalifornien betreibt, beschreibt KlientInnen, die glauben, verrückt geworden zu sein: „Die Menschen erzählen von verrückt machenden Dingen, wie Thermostate, die plötzlich auf 100 Grad gestiegen sind. Sie haben das Gefühl, dass sie die Kontrolle über ihr Zuhause verlieren“.
Die New York Times hat 30 Interviews mit Opfern häuslicher Gewalt in Zusammenhang mit dem „Smart Home“ sowie mit deren AnwältInnen, SozialarbeiterInnen und Einsatzkräften durchgeführt. Dabei kann ein beunruhigender, neuer Trend beobachtet werden. Anstatt ihr Leben zu vereinfachen, entdecken einige Besitzer von Smart Home Geräten, dass ihre verbundenen Geräte ihr Leben zur Hölle machen. Missbraucher steuern, ohne das Wissen ihrer Opfer, mit ihren Smartphones und Tablets alltägliche Geräte im Haushalt, um zu erschrecken, einzuschüchtern und zu verwirren.
In einigen Fällen lassen die TäterInnen plötzlich laute Musik spielen, die Beleuchtung wechseln, Heiz- oder Kühleinheiten ein- oder ausschalten oder versuchen auf andere Weise ein Heim zu schaffen, das scheinbar von sich aus agiert.
So berichtet eine Person, dass sich ihre Klimaanlage ausgeschaltet hat, ohne, dass sie sie berührt hat. Eine andere Person sagt, dass sich der Code des digitalen Schlosses ihrer Haustür jeden Tag ändert. Eine weitere Person sagt, dass es immer wieder an der Tür klingelt, aber keiner davor steht.
„Smart Home“ Technologie kann aus verschiedenen Gründen leicht für den Missbrauch genutzt werden. Tools, wie angeschlossene Überwachungskameras sind relativ preiswert und einfach zu installieren. Normalerweise übernimmt eine Person in einer Beziehung die Technologie, weiß, wie sie funktioniert und hat alle Passwörter. Dies gibt dieser Person die Macht, die Technologie gegen die andere Person zu wenden.
Melissa Gregg, eine Forschungleiterin bei Intel, die an der „Smart Home“ Technologie mitarbeitet sagt: „Connected Home Gadgets werden größtenteils von Männern installiert.“
Jenny Kennedy, Postdoktorandin an der RMIT Universität in Melbourne, Australien, die Familien erforscht, die „Smart Home“ Technologien verwenden, erklärt: „Viele Frauen haben gar nicht alle Apps auf ihrem Handy.“
Notfallhelfer sagten, viele Opfer von „Smart Home“ Missbrauch seien Frauen.
Eine dieser Frauen, eine Ärztin im Silicon Valley, sagte: „Mein Ehemann ist Ingenieur. Er steuert das Thermostat, er steuert die Lichter, er kontrolliert die Musik. Missbrauchsbeziehungen basieren auf Macht und Kontrolle – und er benutzt dafür die Technologie.“
Problematisch wird es auch, wenn ein Opfer die Geräte deinstalliert. Dies kann einen Konflikt eskalieren, sagten Experten. Der Täter kann sehen, dass er behindert ist, und das kann zu verstärkter weiterer Gewalt führen.
Der Artikel in der New York Times: Thermostats, Locks and Lights – Digital Tools of Domestic Abuse
Allgemeines zu Gewalt in der Familie in Österreich – Statistik
Bei einer durch die Universität Wien durchgeführten Prävalenzstudie zum Thema Gewalt in der Familie wurde festgestellt, dass die meisten ÖsterreicherInnen bereits mit zumindest einer Gewaltform (physisch oder psychisch) konfrontiert wurden. Neun von zehn Frauen und acht von zehn Männern berichten von zumindest einer psychischen Gewalterfahrung. Etwa jede dritte Frau und knapp jeder zehnte Mann berichten von sexuellen Gewalterfahrungen seit dem 16. Lebensjahr. Erfahrungen von sexueller Belästigung geben drei Viertel der Frauen und ein Viertel der Männer an. Über körperliche Gewalterfahrungen berichten jeweils mehr als die Hälfte der befragten Männer und Frauen.
Personen, die Gewalt erfahren, erleben diese meist in mehreren Dimensionen (körperliche Gewalt, psychische Gewalt, sexuelle Belästigung, sexuelle Gewalt). Dies gilt vor allem für Frauen. So berichtet etwa jede vierte Frau, Erfahrungen in allen vier Gewaltformen gemacht zu haben, hingegen nur jeder zwanzigste Mann. Geht es um die Kombination von psychischer und körperlicher Gewalt, wurde bislang jeder dritte Mann, aber nur jede zehnte Frau zum Opfer.
Deutliche Geschlechterunterschiede zeigen sich bei den Orten an denen Gewalterfahrungen gemacht werden. Frauen erleben körperliche und sexuelle Gewalt primär im häuslichen Bereich, während Männer mit körperlicher Gewalt hauptsächlich an öffentlichen Orten konfrontiert werden.
Weiterführende Informationen: Prävalenzstudie der Universität Wien
Weiterführende informative Links
Gewaltinfo
Gesundheit – Öffentliches Gesundheitsportal Österreich: Gewalt in der Familie
HELP.gv.at: Gewalt in der Familie
Der ganze Artikel zum Herunterladen: HIER